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Datum:01.02.05
Titel:idw v. 01.02.2005: Ein Unglück kommt selten allein
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Details1:Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Justus-Liebig-Universität Gießen, Charlotte Brückner-Ihl, 01.02.2005
12:01

Ein Unglück kommt selten allein

Extreme Wetterereignisse treten stärker gehäuft auf als gedacht -
Treibhauseffekt zur Erklärung nicht nötig

"Ein Unglück kommt selten allein." - Zumindest was das Wetter angeht,
scheint diese Redensart berechtigt zu sein. Das hat eine deutsch-
israelische Arbeitsgruppe um Armin Bunde, Professor für Theoretische
Physik an der Justus-Liebig-Universität Gießen, an verschiedenen
Wetterphänomenen gezeigt. Die Arbeit wird in der ersten Februarwoche
in der Online-Ausgabe der renommierten "Physical Review Letters"
publiziert und erscheint eine Woche später im Druck.

Prof. Dr. Armin Bunde und seine Mitarbeiter Jan Eichner, Jan
Kantelhardt und Shlomo Havlin (Tel Aviv) haben möglichst weit
zurückreichende Aufzeichnungen von Wetterereignissen ausgewertet. So
sind 663 Jahre lang Jahr für Jahr die Überschwemmungen des Nils bei
Kairo aufgezeichnet worden. Andere Reihen umfassen sogar einen noch
längeren Zeitraum, beruhen jedoch auf rekonstruierten Daten, etwa die
Niederschläge in New Mexiko (2129 Jahre), die Temperaturen auf der
nördlichen Halbkugel (981 Jahre) und auf Baffin Island (1241 Jahre)
sowie die abfließende Wassermenge im Sacramento-Fluss (1109 Jahre).

Alle diese Datenreihen weisen eine Eigenheit auf: Die einzelnen Daten
erweisen sich als langzeitkorreliert. Prof. Bunde erläutert diese
Eigenschaft am Beispiel der Temperatur. Kurzfristige Korrelationen
erlebten wir tagtäglich: Auf einen hochsommerlichen Tag wird kaum ein
Tag mit Graupelschauern folgen. Tatsächlich bestand vor noch nicht
allzu langer Zeit eine der besten Methoden der Wettervorhersage darin,
für morgen das Wetter von heute vorherzusagen. Aber auch für
mittelfristige Zeiträume funktionieren diese Korrelationen: Auf einen
zu warmen Monat wird wahrscheinlich ein weiterer warmer Monat folgen,
auf einen zu kalten Monat eher ein weiterer kalter Monat.

Überraschend dagegen war, dass solche Korrelationen, welche die
Erhaltungsneigung des Wetters widerspiegeln, auch für lange Zeiträume
gelten, wenn sie sich auch mit der Zeit langsam abschwächen. So folgt
auch auf ein warmes Jahr wahrscheinlich ein weiteres warmes Jahr, und
auf ein zu warmes Jahrzehnt folgt tatsächlich häufiger als der Zufall
erwarten lässt ein weiteres Jahrzehnt, das ebenfalls
überdurchschnittlich warm ist. Allerdings handelt es sich dabei immer
um statistische Zusammenhänge, also um Wahrscheinlichkeitsaussagen,
sonst würde sich das Wetter ja nie ändern.

Die Arbeitsgruppe von Prof. Bunde hat diese Langzeitkorrelationen
schon vor sieben Jahren in Wetterdaten entdeckt, nun zieht sie die
Konsequenzen für extreme Wetterereignisse wie Hochwasser, Dürren oder
sintflutartige Regenfälle. Extreme Ereignisse sind einer statistischen
Bearbeitung nur schwer zugänglich, gerade weil sie so selten sind. Die
Gießener Wissenschaftler können aber am Beispiel der
Nilüberschwemmungen zeigen, dass die Abstände zwischen mittleren
Hochwassern derselben Gesetzmäßigkeit folgen wie die Abstände zwischen
extremen Hochwassern, nur dass die Abstände größer werden. Aus der
Auswertung von mittleren Hochwassern lässt sich also ableiten wie
häufig ein extremes Hochwasser zu erwarten ist. Dabei zeigt sich, dass
auch die extremen Hochwasser nicht etwa zufällig verteilt sind,
sondern gehäuft auftreten - sie sind ebenfalls langzeitkorreliert.
Dieselbe Gesetzmäßigkeit gilt auch für die anderen untersuchten
Wetterereignisse: Dürren und sintflutartige Regenfälle, extreme Hitze
oder Kälte. Die Redeweise "Ein Unglück kommt selten allein" ist also
durchaus berechtigt, wenn es um das Wetter geht.

Diese Ergebnisse sind zum Beispiel für Rückversicherer interessant,
die wissen wollen, wie häufig das Wetter seine Kapriolen schlägt. Wenn
etwa zwischen den beiden letzten Hochwassern 30 Jahre gelegen haben,
dann sagt einem die Intuition nach Ablauf von weiteren 30 Jahren, dass
nun eigentlich ein weiteres Hochwasser fällig sei. Diese Intuition
führt nach den Ergebnissen von Armin Bunde in die Irre. Im Gegenteil
wird ein weiteres Hochwasser umso unwahrscheinlicher, je länger es
schon ausgeblieben ist. Gerade weil extreme Wetterereignisse sich
häufen, sind dazwischen auch lange Perioden zu erwarten, die frei von
Extremen sind. Nach den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Gießener
Arbeitsgruppe fällt auch die jüngste Anhäufung extremer Hochwasser in
Europa nicht aus dem Rahmen und ist nicht zwingend eine
Folgeerscheinungen der globalen Erwärmung.

Die beobachtete Gesetzmäßigkeit lässt sich mit einer einfachen
"gestreckten Exponentialfunktion" beschreiben, eine Entdeckung, auf
die der theoretische Physiker stolz ist. Sie lässt sich auch auf so
unterschiedliche Phänomene wie den Herzschlag, Börsenkurse oder den
Verkehr im Internet anwenden, so dass aus der Arbeitsgruppe von Prof.
Bunde noch viele spannende Einsichten zu erwarten sind.

Quelle: Armin Bunde, Jan F. Eichner, Jan W. Kantelhardt und Shlomo
Havlin, "Long-Term Memory: A Natural Mechanism for the Clustering of
Extreme Events and Anomalous Residual Times in Climate Records",
Physical Review Letters 94, 048701 (2005).

Kontakt:
Prof. Dr. Armin Bunde
Justus-Liebig-Universität Gießen
Institut für Theoretische Physik
Heinrich-Buff-Ring 16
35392 Gießen
Telefon: 0641/99-33360
Fax: 0641/45616
E-Mail: armin.bunde@physik.uni-giessen.de

Arten der Pressemitteilung:
Forschungsergebnisse
Publikationen

Sachgebiete:
Biologie und Biotechnologie
Geowissenschaften
Gesellschaft
Mathematik und Physik
Ökologie

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WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
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